Veränderung aus integraler Perspektive betrachten
Gastbeitrag von Natalie Bekel
In einer Welt, die sich schneller dreht als ein Karussell auf Hochtouren, sind Unternehmen und Organisationen gefordert, ihre Strategien und Arbeitsweisen kontinuierlich zu hinterfragen. Wie bleiben wir in diesem dynamischen Umfeld handlungsfähig und zukunftssicher?
Die Versuchung, Komplexität mit Methoden und Tools in kleine Häppchen zu zerlegen und beherrschbar machen zu wollen, ist groß – aber oft zu kurz gegriffen und damit wirkungslos.
Vielmehr geht es darum, die Komplexität als Ganzes wahrzunehmen, sie zu fühlen und trotzdem einen Weg hindurchzufinden. Eine integrale Sichtweise auf Veränderung hilft dabei, diese Vielschichtigkeit sichtbar zu machen und sinnvoll zu navigieren.
Bevor wir zum Modell des Artikels kommen – die 4 Quadranten nach Ken Wilber – als Einstieg ein Beispiel:
Praxisbeispiel: Kontinuierliches Feedback-System
Vor einiger Zeit haben wir in einem Unternehmen ein neues, kontinuierliches Feedback-System eingeführt. Die Idee war, die Entwicklung der Mitarbeitenden stärker zu fördern und die Zusammenarbeit im Team zu verbessern. Anfangs klang das nach einer rein organisatorischen Maßnahme – aber schnell wurde deutlich, wie viele Ebenen tatsächlich betroffen sind:
Einige Kolleg:innen hatten Bedenken, offenes Feedback zu geben oder anzunehmen. Sie waren unsicher, wie ehrlich sie sein dürfen, ohne jemanden zu verletzen, oder hatten Angst vor Kritik. Das betraf die Ebene der persönlichen Einstellungen, des Selbstbilds und der eigenen Haltung zu Entwicklung.
Im Modell der Quadrant individuell – innen
Im Verhalten zeigte sich das darin, dass Feedbackgespräche anfangs sehr zurückhaltend geführt wurden. Einige Mitarbeitende hielten sich lieber an die alten, jährlichen Beurteilungen und vermieden die neuen, regelmäßigen Formate. Das betraf die Ebene des sichtbaren Verhaltens und auch der Fähigkeiten.
Im Modell der Quadrant individuell – außen
In der Teamkultur war spürbar, dass offenes Feedback bisher nicht selbstverständlich war. Es gab unausgesprochene Regeln, wie man miteinander umgeht, und die Angst, durch Kritik das Miteinander zu stören, war groß. Wir mussten gemeinsam Vertrauen aufbauen und eine positive Fehlerkultur entwickeln. Das betraf die Ebene der Kultur, der Werte und Normen, der Beziehungen.
Im Modell der Quadrant kollektiv – innen
Auf struktureller Ebene wurde das Feedback-System in die bestehende HR-Infrastruktur eingebettet und klare Prozesse für Durchführung und Dokumentation geschaffen. Gleichzeitig haben wir Führungskräfte geschult, damit sie die neuen Abläufe aktiv unterstützen und vorleben.
Im Modell der Quadrant kollektiv – außen

Damit wird deutlich: Nur weil wir ein neues Tool, wie z.B. das Feedback-System, einführen, heißt das noch lange nicht, dass sich Verhalten und Kultur automatisch mitverändern. Erst als wir alle vier Quadranten bewusst adressiert haben – also persönliche Haltungen, beobachtbares Verhalten, Teamkultur und Strukturen – hat sich das Feedback-System wirklich etabliert. Heute ist es ein selbstverständlicher Teil im Unternehmensalltag und trägt spürbar zur Entwicklung und Zufriedenheit im Team bei.
Das 4-Quadranten-Modell nach Wilber macht also – beispielsweise bei geplanten Veränderungen – die Vernetzungen sichtbar und erinnert daran nicht nur in Einzelmaßnahmen zu denken:
- Welche inneren Überzeugungen beeinflussen das konkrete Verhalten im Prozess?
- Wie wirkt sich die Teamkultur auf strukturelle Entscheidungen aus – und umgekehrt?
- Welche technischen Lösungen erfordern ein neues Mindset und neue Kommunikationsformen?
- usw.
Durch den Blick auf diese Vernetzungen können wir in einem ständigen Lernprozess einen echten Weg durch die Komplexität finden – statt mit einem starren Konzept Arbeitspakete abarbeiten zu wollen.
Fazit
Wenn alle vier Quadranten gemeinsam betrachtet und ihre Wechselwirkungen verstanden werden, können wir echten Überblick gewinnen und Komplexität als lebendiges Phänomen begreifen. So entsteht statt lähmendem Chaos eine dynamische Landkarte für den Wandel – naja gut, seien wir realistisch: vielleicht nicht die „fertige Landkarte“, sondern eher der rote Faden im Nebel. 😉